Ein Jahr Mastodon

Am 18. August 2018 habe ich den Sprung gewagt, Twitter „in die Wüste geschickt“, nachdem ich dort einige Jahre zugange war, und mich bei Mastodon angemeldet. Seitdem habe ich keine Sekunde mehr bei Twitter verbracht und das auch nur ganz selten vermisst.

Mein Profil bei Mastodon – inklusive des Anmeldedatums vor genau einem Jahr...

Die Gründe für diesen Wechsel lagen für mich immer auf der Hand, aber nachdem jeder unterschiedliche Gründe für die Benutzung eines dezentralen sozialen Netzwerks wie Mastodon hat, lege ich meine Gründe noch einmal in der gebotenen Kürze dar, lustigerweise beginne ich dabei mit meinen Gründen für den Twexit – und dazu gehörte, dass diese Plattform sich über die Jahre in einer Weise entwickelt hatte, dass sie mir immer weniger gefiel:

  • Die Ungleichbehandlung von VIP- und „normalen“ Nutzern: Bekannte VIPs, die automatisch tausende, hunderttausende, wenn nicht gar Millionen von Followern hatten, auch wenn sie nur selten mehr als momentane Befindlichkeiten posteten, werden von der Firma Twitter natürlich gern gesehen, weil sie viele Follower „generieren“ und somit Nutzer anlocken, die man mittels Werbung und Auswertung der persönlichen Daten geschäftlich nutzen kann. Daneben gab es viele „normale“ Nutzer, die oft mit wenigen Followern auskommen mussten, auch wenn sie meist viel interessantere Dinge verbreiteten. Dieses Ungleichgewicht war für mich immer unattraktiv, da es der Plattform aber Geld einbrachte, wurde es aber naturgemäß eher gefördert als gehemmt.
  • Nicht erst seit dem Wahlkampf, der uns Donald Trump als US-Präsidenten bescherte, ist es allgemein bekannt, dass man auf Twitter so ziemlich alles veröffentlichen kann, ohne allzu schnell gemaßregelt zu werden. Vor allem nervte mich schon damals, dass ich mitbekam, wie manche „kleinen“ Nutzer für sprachliche Zweideutigkeiten temporär suspendiert wurden, während gerade Donald Trump bis heute posten kann, was er möchte – nachweislich sind große Teile davon „erstunken und erlogen“ – und das völlig ohne Konsequenzen. Die Ungleichbehandlung dürfte eigentlich nicht sein, sie gehört aber seit Jahren fest zum Erscheinungsbild von Twitter.
  • Trump ist aber nur ein vergleichsweise harmloses Beispiel, denn bei Twitter tummeln sich auch etliche Gruppierungen am hell- bis dunkelbraunen Rand der Gesellschaft, um dort einen relativ starken Kommunikationskanal offen zu halten. Und entweder mangelt es am Willen oder an der Fähigkeit, aber auch da scheint es für die „Anstandswächter“ von Twitter erstaunlich schwer zu sein, Fehlverhalten und verbale Grenzüberschreitungen zu erkennen und entsprechend zu ahnden.
  • Der generelle Tonfall bei Twitter ist sehr aggressiv geworden, oft werden aus Mücken gefühlt Elefanten gemacht – und das bei meist unwichtigen Dingen. Die wirklich wichtigen Dinge verlieren dagegen angesichts irgendwelcher Promi-Selfies zunehmend an Bedeutung. All das verleidete mir die Teilnahme massiv.
  • Dann kam zwei oder drei Wochen vor meinem endgültigen Ausstieg ein finaler Sargnagel: Die Firma Twitter wollte ihren eigenen Software-Client stärken und beschnitt dafür stark die Unterstützung von Drittanbietern, das Ausmaß war so groß, dass man eigentlich ehrlicher wäre, von einer reinen Sabotage zu sprechen. Da in der von Twitter selbst hergestellten App Werbung vorhanden war und einige andere Optionen, die ich nicht nutzen wollte, war ich schon seit Jahren mit Tweetbot unterwegs gewesen (und damit vollkommen zufrieden). Plötzlich hieß es, dass ab einem Stichtag nur noch eine bestimmte Anzahl von Nutzern pro Fremdapp möglich sei, für jeden weiteren Nutzer würde ein bestimmter Betrag von den Anbietern der Fremdapp fällig. Somit war klar, dass die App-Entwickler diese Kosten an ihre Benutzer weitergeben mussten – und trotzdem würden etliche Nutzer auf die von Werbung und „gesponserten Tweets“ überflutete Twitter-App umsteigen. Da zog ich die Reißleine.

Ich hatte vorher schon über Mastodon als interessante und „etwas andere“ Alternative zu Twitter gelesen, aber mein Bild war sehr unklar. Das kann nicht erstaunen, denn Mastodon ist eigentlich nur ein Sammelbegriff für viele kleine soziale Netzwerke, die aber unter- und miteinander vernetzt sind, sodass am Ende schon ein riesiges, aber eben nicht zentral auf einem Server von einem einzigen Anbieter gesteuertes Netzwerk entstanden ist, das täglich weiter wächst und sich dynamisch verändert. Immer wieder kommt es dabei vor, dass eine Instanz, also eines der Unternetzwerke, den Betrieb einstellt. Die Nutzer sichern dann im Regelfall ihre Daten und ziehen zu einer anderen Instanz um. Mir blieb dieser Schritt bislang erspart, denn die Mastodonten – so heißt die Instanz, bei der ich mich angemeldet habe – wird bislang wundervoll betreut und läuft sehr stabil. Hoffentlich ändert sich daran nichts!

Ansonsten funktioniert Mastodon wie andere soziale Netzwerke auch: Man folgt anderen Leuten, hat eigene Follower, „trötet“ (oder „tootet“) Meldungen (im Fachjargon „Tröts“/„Toots“) in die weite Welt hinaus, erhält öffentliche oder private Nachrichten, was halt so ansteht. Das funktioniert alles, wie immer sind die meisten, mit denen man interagiert, menschlich (es gibt auch Bots), sodass es hier und da mal zu Missverständnissen kommen kann. Aber im Großen und Ganzen ist der Umgang sehr sensibel, ich würde sogar sagen: Im Allgemeinen achten alle darauf, ein „nicht-toxisches Umfeld“ zu schaffen und zu erhalten. Klar, hier und da gibt es Gestalten, die wollen „zündeln“ und Leute ärgern, manche posten unablässig Spam (ich erhalte gelegentlich Meldungen, dass mir jetzt ein neuer Nutzer folge, dann sehe ich nach und bemerke, dass es sich um einen Bot handelt, der einfach nur Links zu Pornoseiten und dergleichen raushaut) oder haben Spaß daran, allen Äußerungen zu widersprechen (meist auch noch in einem unfreundlichen Tonfall) – dann greife ich zu den Mute- und Block-Funktionen und habe wieder meine Ruhe. Aber diese Nutzer und Bots sind glücklicherweise vergleichsweise selten. Gleich in meiner ersten Woche wurde ich von einer Nutzerin heftig angezickt und verbal hart angegangen, seither ist sie blockiert und stummgeschaltet, das hat mich nach dem ersten kurzen Ärgernis keine Mühe mehr gekostet.

Bislang funktioniert Mastodon für mich, ich habe viele nette Leute kennen gelernt, sogar den einen oder anderen, den ich vorher schon auf Twitter kannte, der den gleichen Schritt unternommen hat. Es herrscht eine entspannte und freundliche Grundstimmung, ich kann auch mal – und das kommt gerade in beruflichen Stresszeiten immer wieder vor – tagelang nicht aktiv sein, ohne mir verbale Rüffel einzufangen. Bislang habe ich noch keinen einzigen Werbe-Tröt erhalten, das Ausmaß an Aggression ist viel geringer als bei Twitter. Ich bin zufrieden und schaue gerne „rein“. Sollte jemand nach meiner aktuellen Schilderung Interesse bekommen haben, lest euch doch einfach mal den Wikipedia-Artikel zu Mastodon durch, dann testet es selbst einmal für zwei Wochen aus, danach habt ihr in der Regel einen guten Eindruck, wie die Stimmung so ist – viel mehr muss man gar nicht machen. Und womöglich bleiben ja ein paar neue Nutzer dabei. Das wäre schön.

Diese Seite sammelt keine privaten Daten.