Gehört: „Doctor Sleep“ von Stephen King

Vor ein paar Tagen habe ich das Hörbuch „Doctor Sleep“ von Stephen King bereits zum zweiten Mal komplett durchgehört.

„Doctor Sleep“ von Stephen King, meisterhaft gelesen von David Nathan


(Bild-Quelle: Apple Books, Screenshot des Hörbuch-Covers)

Das erste Mal habe ich das Hörbuch vor gut anderthalb Jahren angehört, einzelne Elemente der Geschichte blieben mir langfristig im Hinterkopf hängen, sodass ich pünktlich zum Schuljahresende das Hörbuch wieder auf mein iPhone lud und die letzten paar Tage intensiv am Hören war.

Mein privates Shining-Trauma



Es gibt ein oder zwei Stephen King-Romane, die kann ich einfach nicht lesen, noch viel weniger anhören: „Shining“ und „Friedhof der Kuscheltiere“. Letzteres geht noch eher, das habe ich als Teenager mindestens zweimal gelesen – aber da war ich anscheinend noch etwas härter im Nehmen. Aber beim Erstgenannten bringt der Autor anscheinend einige meiner internen Horror-Saiten derart zum Schwingen, dass ich das Hörbuch mit Mühe ein einziges Mal durchhören konnte. Beim zweiten Versuch war ich nach nur 90 Minuten einen ganzen Tag lang schlecht drauf – und das kommt sonst wirklich selten vor. Anscheinend sind die härteren Horror-Romane einfach nichts (mehr) für mich.

Entsprechend skeptisch war ich, als ich von „Doctor Sleep“ erfuhr, das eine Fortsetzung von „Shining“ ist. Ich brauchte satte zwei oder drei Jahre, um mich an dieses Hörbuch zu trauen. Dann aber habe ich es nicht bereut, denn hier ist der Fokus ein ganz anderer, ein aus meiner Sicht leichter zu verarbeitender: In „Shining“ war das Böse ein integraler Bestandteil des alkoholkranken und zunehmend dem Wahnsinn verfallenden Protagonisten (Jack Torrance). In „Doctor Sleep“ dagegen gibt es handelnde Bösewichte, denen man trotz all ihrer beeindruckenden Fähigkeiten das Handwerk legen kann. Das ist aus psychologischer Sicht leichter zu verarbeiten, zumindest für mich.

Handlung



Jetzt habe ich schon einen Vergleich mit dem „ersten Teil“ gezogen, ohne überhaupt herausgearbeitet zu haben, worum es denn in „Doctor Sleep“ geht. Zum Glück lässt sich das leicht ändern...

Der Roman besteht aus drei großen Handlungssträngen, die sich allmählich ineinander verweben, bis sie am Schluss des Buchs in einem furiosen Finale enden. Erster Handlungsstrang: Der in „Shining“ noch als kleiner Junge agierende Dan(ny) Torrance ist mittlerweile ein erwachsener Mann, der – völlig im Gegensatz zu all seinen früheren Lebens-Plänen – exakt den Spuren seines Vaters folgt: Er ist alkoholabhängig und führt ein extrem unstetes Leben. Der übermäßige Alkoholkonsum hilft ihm, sein starkes Shining zu unterdrücken, da es Dan nur unter großen Mühen gelingt, mit den Erkenntnissen, die ihm durch seine Hellsichtigkeit zufliegen, klarzukommen. Irgendwann im Verlauf seiner Wanderschaft landet er in der Kleinstadt Frazier, wo er mehr oder weniger durch Zufall Anschluss an einen sehr gutmütigen Gemeindearbeiter Billy Freemann findet, der ihn wiederum über seinen Boss an die „Anonymen Alkoholiker“ vermittelt, was zu mehr als einem Jahrzehnt in völliger Abstinenz führt. Parallel dazu verfolgt der Leser die Geschichte des „Wahren Knotens“, einer Vereinigung von Wesen, die am ehesten mit Vampiren verglichen werden können, obwohl sie sich nicht von Blut ernähren. Sie haben es auf „Steam“, die geistige Energie ihrer Opfer, die fast ausnahmslos Kinder und Teenager mit einem mehr oder weniger starken Shining sind, abgesehen. Je größer die Qualen der Opfer, desto reiner und mächtiger ist der Steam, daher foltern die „Wahren“ die entführten Kinder grausam bis zu deren Ende. Im dritten Handlungsstrang lernen wir Abra Stone kennen, ein Mädchen, das den Leser schon sehr früh auf ihr gewaltiges Shining aufmerksam macht: Schon mit wenigen Monaten reagiert sie panisch auf die anstehenden Anschläge auf das World Trade Center, später lässt sie diverse telekinetische und telepathische Fähigkeiten erkennen. Im Verlauf der Handlung erfährt der „Wahre Knoten“ von Abra und ist gierig nach dem exzessiven Ausmaß an Steam, das ihr Shining verspricht. Sie beschließen, das Mädchen zu entführen und als eine Art „Milchkuh“ zu halten, um auf Jahre hin ihren Steam-Bedarf zu decken. Dan und Abra erkennen dies, tun sich zusammen, um zuerst den Plan des „Wahren Knotens“ zu vereiteln und sich dann auch gleich noch daran zu machen, dieser Monster-Vereinigung das Handwerk zu legen.



Mehr schreibe ich hier nicht über den Verlauf der Handlung, sonst verrate ich ja schon alles und verderbe möglichen zukünftigen Lesern/Hörern den Spaß. Wer die Spannung nicht aushält, der kann eine noch wesentlich ausführlichere und äußerst detaillierte Inhaltszusammenfassung im Wikipedia-Artikel zum Roman finden.

Fazit



Obwohl über dem Roman – wie bei fast allem, was Stephen King schreibt, auch wenn das seit Jahren nur noch in Ausnahmefällen zutrifft – groß das Etikett „Horror“ klebt, sind weite Teile der Handlung einfach nur eine gute, spannende Erzählung, in der faszinierende Charaktere zum Leben erweckt und die verschiedenen Handlungsstränge entfaltet bzw. zum Ende hin miteinander verwoben werden. Ich muss das schon mehrfach geschrieben haben, doch es lohnt sich immer, diesen Punkt noch einmal zu betonen: Mit dem Alter ist Stephen King ein schier unglaublich guter Erzähler geworden. Ob man seinen ausschweifenden Stil nun mag oder nicht, er bringt es einfach immer wieder fertig, eine Geschichte – so unglaubwürdig sie bei genauer Betrachtung auch sein mag – für den Leser in einer Weise zum Leben zu erwecken, dass man sofort auf der Seite des Protagonisten steht und kräftig mitfiebert, wenn sich die Schlussklimax nähert.

„Doctor Sleep“ ist hierbei keine Ausnahme: Selbstverständlich muss einem bewusst sein, dass viele der im Roman geschilderten Dinge (Hellsichtigkeit, Telekinese und dergleichen mehr) nicht möglich sind, dennoch sind sie so anschaulich beschrieben, dass man sie einfach hinnimmt als Teil der Handlung. Es ist mir beim Lesen ja auch immer klar, dass es sich nur um Fiktion handelt – warum sollte ich dann also jedes einzelne Element der Geschichte permanent daraufhin überprüfen, ob es „realistisch“ ist oder nicht? (Unter dem Gesichtspunkt dürfte ich auch nie einen Action-Film ansehen...) Es löst bei mir aber immer wieder eine gewisse Belustigung aus, wenn z.B. im König Bube Dame Gast-Podcast (hier) darüber diskutiert wird (und das passiert wirklich häufig), ob dies oder das nun glaubhaft sei oder nicht. Ganz ehrlich: Wen kümmert‘s? Es ist eine erfundene Geschichte, die sich teils im Horror- und teils im Mystery-Genre bewegt – da ist Realismus das letzte, was ich vom Autor erwarte. Aber ich möchte, dass die Erzählung mir die einzelnen Elemente glaubwürdig verkauft – und das schafft King meiner Meinung nach auf einzigartige Weise. Darum lese und höre ich seine Bücher ja so gerne.

Wer wie ich mit „Shining“ seine liebe Not hatte, weil die Geschichte einfach zu gruselig war, der wird mit „Doctor Sleep“ sicher, nein garantiert, viel besser fahren. Ich jedenfalls weiß jetzt schon, dass ich sicher in ein paar Jahren wieder zu diesem Hörbuch greifen werde. Es lohnt sich einfach.

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