Gesehen: „11.22.63“

Das Hörbuch Der Anschlag von Stephen King habe ich trotz seiner beeindruckenden Länge von mehr als 32 Stunden bereits mehrfach komplett angehört, weil es so unglaublich gut ist. Wer sich dafür interessiert: Das von David Nathan hervorragend gelesene Hörbuch gibt es hier bei Apple Books für 5,99 € (ein Schnäppchenpreis angesichts der Dauer und Qualität). Irgendwann vor ein oder zwei Jahren fand ich dann heraus, dass dieser Roman 2016 vom US-amerikanischen Streaming-Anbieter HULU zu einer TV-Serie mit acht Folgen (im Schnitt jeweils ca. 55 Minuten) gemacht wurde (hier).

11.22.63 – „Der Anschlag“

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Im Apple Store gab es die Serie vor einer Weile im Angebot für 6,99 €, also kaufte ich sie. Gestern früh habe ich die letzten zwei Folgen während des Rudertrainings am Stück gesehen.

Handlung



Wie fasst man 32 Stunden Handlung – immerhin der viertlängste Roman Kings – kurz zusammen? Das ist tatsächlich eine schwierige Frage, doch ich bemühe mich, das einigermaßen hinzubekommen.

Jake Epping ist ein geschiedener Englischlehrer an einer amerikanischen Highschool, der abends gern in Al‘s Diner einen Burger isst. Im Lauf der Jahre hat er sich mit dem Besitzer (Al) angefreundet, sodass er von diesem für eine halsbrecherische Mission gewonnen werden kann: Al hat in seinem Diner eine Art Zeitportal gefunden, die jeden, der es durchschreitet, genau an den immer gleichen Zeitpunkt im Jahr 1958 zurückbringt. Al hat jahrelang dort gelebt, doch eine Krebserkrankung im Endstadium verhindert die Vervollkommnung seiner Mission. Also soll nun Jake an seiner Stelle in der Zeit zurückreisen, fünf Jahre lang verdeckt in der Vergangenheit leben und dann das Attentat auf John F. Kennedy verhindern. Doch wer hätte gedacht, welche Probleme das mit sich bringt...



Enttäuschung oder Euphorie?



Wie so oft stand die bange Frage im Raum: Kann die Verfilmung mit der Romanvorlage mithalten? Im Vorfeld hat mir das lange Kopfzerbrechen bereitet, da ich beim Hören natürlich meine eigene Vorstellung vom Aussehen der Charaktere, der Zeit, in der die Handlung überwiegend spielt, und aller möglicher Dinge im Buch gemacht hatte. Die große Sorge war daher stets, dass die TV-Umsetzung einen zu großen Kontrast zu meiner Vorstellung aufbaut, was dann meine Erinnerung an das Buch beeinträchtigt hätte.

Erstaunlicherweise ist die Umsetzung trotz einiger gravierender Abweichungen und Verknappungen meiner Meinung nach sehr gelungen. Selbstverständlich hätte ich mir den Jake Epping-Charakter niemals genau so vorgestellt, wie sein Darsteller, James Franco, aussieht. Die Art und Weise, wie der ihn dann aber darstellt, hat mich schnell für ihn eingenommen. Er ist also eine exzellente Wahl, auch wenn ich im Vorfeld nie auf ihn gekommen wäre.

Geradezu begeistert war ich von der Wahl der Sadie Dunhill-Darstellerin: Sarah Gadon. Ich hatte sie vorher schon einmal in einem Film (Dracula Untold) gesehen, jedoch blieb von ihrer Darstellung nicht viel bei mir hängen. Hier jedoch ist sie der heimliche Star der TV-Adaption, weil sie wie aus der Zeit der 1960er Jahre herausgenommen zu sein scheint. Sie fügt sich so nahtlos in das innerhalb der Serie gezeichnete Bild ein, dass man ihr förmlich an den Lippen hängt.

Abweichungen von der Roman-Vorlage



Die Kürzungen im Vergleich zum Roman, die ich oben erwähnt habe, sind natürlich bedauerlich, doch absolut zu verstehen. Im Roman wird sehr ausführlich (hey, es ist ein Stephen King-Roman...) geschildert, wie sich die Vergangenheit gegen jeden Eingriff in den Ablauf der Zeit wehrt. Dazu gibt es ein langes Kapitel aus der Sicht des Besitzers von Al‘s Diner. Darin wird das Motto Die Vergangenheit wehrt sich. geprägt, was im Buch und in der TV-Serie dann immer wieder erwähnt wird. In der TV-Adaption fehlt das entsprechende Kapitel, daher ist dann natürlich für den Zuschauer nicht ganz klar, woher Jake Epping das überhaupt weiß.

Die Figur des Bill Turcotte, gespielt von George MacKay, ist massiv ausgeweitet und nimmt einen deutlich stärkeren Anteil an der Geschichte als in der Roman-Vorlage, was mich erst einmal etwas überrascht hat. Doch alles in allem war ich eher angetan als abgeschreckt von dieser Abweichung, denn seine Handlungsweise ist glaubwürdig.

Der Schluss im Roman ist ein epischer Akt der Selbstaufopferung seitens des Hauptcharakters Jake Epping. Daran hat sich nichts geändert, zum Glück! Die pure Wucht der Erkenntnis, dass sein Bemühen, in der Vergangenheit ein Attentat aufzuhalten und weitere Fehler auszumerzen, in der Zukunft zu noch mehr Leiden führt, trifft den Charakter hart – doch er entscheidet weise, sodass der Schluss ein emotionaler Höhepunkt der TV-Serie ist.

Fazit



Wie schon erwähnt: Ich halte die TV-Adaption trotz der Abweichungen von der Romanvorlage für sehr gelungen. Die Länge von etwa acht Stunden sorgt dafür, dass man sie nicht „einfach so“ am Stück durchgucken kann, was aber angesichts einiger durchaus aufwühlender Szenen (gut verteilt auf die Gesamtdauer) ohnehin kaum jemand machen würde. Wer Stephen King-Fan ist, den Roman kennt und mag, das Geld und die Zeit hat, sollte sich unbedingt diese TV-Adaption ansehen – es wird keine Enttäuschung sein. Wer den Roman noch nicht kennt, dem empfehle ich, das Original vorher zu lesen oder zu hören, denn dann kann man die TV-Serie sicher noch mehr genießen.

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